Viele Risiken werden von Unternehmen gar nicht erkannt

Risiken Unternehmen Marcel Hagens
Krieg, Terrorismus, Entführung: Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich Marcel Hagens mit Risiken, Krisenmanagement und maßgeschneiderten Versicherungs-lösungen. Dabei profitiert der gebürtige Niederländer auch von seinen Erfahrungen als ehemaliger Profi-Volleyballspieler und gelernter Versicherungsmakler.

Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie als Consultant bei einer Beratungsfirma gearbeitet, die sich auf die Versicherung von Soldaten spezialisiert hatte. 2009 folgte der Schritt in die Selbstständigkeit. Was hat Sie auf die Gründungsidee für Ihr eigenes Unternehmen gebracht? 

Marcel Hagens: Ich war 2009 erstmals in Afghanistan. Zwei Jahre zuvor hatten die Niederlande und Australien im Rahmen der ISAF-Mission das Kommando im Süden von Afghanistan übernommen. Vor Ort waren 125.000 Militärs, aber 250.000 Zivilisten, darunter Mitarbeiter von NGOs und von Logistikfirmen, die sich um die komplette Versorgung der NATO mit Essen, Strom, Internet etc. kümmerten. Am Militärflugplatz in Kandahar sah es aus wie in New York: Subway, Burger King, Dunkin‘ Donuts, Pizza Hut – alle waren da. Und die wenigsten Mitarbeiter waren versichert. Die Vertragsklauseln in Europa schlossen nämlich das Abdecken von Risiken in Kriegs- und Terrorgebieten aus. Der Unternehmer haftet aber. Das läuft dann schnell in hunderttausende Euros. In dieser Nische habe ich meine eigene Versicherungsfirma gegründet. Seitdem berate ich Unternehmen, die in von Terrorismus, Krieg und Entführungen betroffenen Gebieten arbeiten, beim Risikomanagement. Am Ende des Prozesses steht die Entwicklung passender Versicherungslösungen. Es gibt immer Restrisiken und die muss man versichern.

Zur Praxis kam die Theorie. In Schottland haben Sie an der Universität St. Andrews das Studium Internationaler Terrorismus mit den Schwerpunkten Kritische Infrastruktur, See- und Luftfahrtterrorismus absolviert. Was hat Sie motiviert?  

Hagens: Das ist Teil meiner Philosophie. Als ich zu Beginn meiner Karriere nach der Ausbildung zum Versicherungsmakler beim weltgrößten Versicherungs-Consultant Aon arbeitete, habe ich mir jede Branche erst einmal genau angeschaut, die ich versichern sollte. Sonst kann ich dem Kunden keinen Mehrwert bieten. Und wenn man der Experte für Terrorismus und Krieg sein will, muss man auch etwas davon verstehen. Ich war mehr als 30-mal in Ländern wie zum Beispiel Afghanistan und zusammengerechnet mehr als 365 Tage für Kunden in von Krieg und Terrorismus betroffenen Gebieten unterwegs. 

Verglichen mit Ihrem Einsatz in Risikogebieten klingt ein Studium im beschaulichen St. Andrews ja erst einmal ein wenig langweilig. Was hat das Studium für die Praxis gebracht? 

Hagens: Langweilig war es nicht gerade. Das Studium habe ich neben meinem Job zum Teil online aus Kabul gemacht. Und danach sah ich die Welt durch andere Augen. In einen Eurostar nach London würde ich mich nicht mehr setzen. Verglichen mit Flügen sind die Sicherheitslücken riesig. Man sieht plötzlich auch Dinge, die man früher gar nicht wahrgenommen hat und lernt sehr genau die potenziellen Risiken zu erkennen und einzuschätzen. Man kann Risiken nicht gänzlich ausschließen, es gibt immer noch einen Act of God, wie die Amerikaner sagen, aber man kann sie eindämmen. Die Qualität der Berater hängt davon ab, out of the box, also unkonventionell und kreativ, denken zu können. 

Sie haben in extrem gefährlichen Gebieten gelebt, in denen Krieg und Terror herrschten. Seit mehr als 25 Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Risikomanagement und maßgeschneiderten Versicherungslösungen. Was war einer Ihrer schwierigsten Fälle? 

Hagens: Das war in Afghanistan. Weil das Land keinen Hafen hat, wurde der Sprit für die Fahrzeuge und Flugzeuge der NATO von privaten Unternehmern aus Pakistan in das Land transportiert. Die Herausforderung bestand darin, die wertvollen Lieferungen gegen Überfälle der Taliban abzusichern. Damals übertraf der Literpreis den regulären Wert um das etwa 100-Fache, weil der Transport so gefährlich und kompliziert war, zum Beispiel in schwer zugängliche Bergregionen ging. Für 500 Kilometer brauchte man zwei Wochen. Dank unserer exzellenten Kontakte konnten wir auf informellen Wegen einen Schutz der Lieferungen organisieren. 

Krisen sind in der Regel sehr komplex. Ohne gute Tools würden Sie diese nicht steuern und idealerweise vermeiden können. Sie haben deshalb viele Jahre Erfahrungen mit dem so genannten HAZOP-Prozess gesammelt.  

Hagens: HAZOP steht für Hazard and Operability, also Gefahr und Betriebsfähigkeit. Als HAZOP-Leader steuere ich Prozesse, die daraus bestehen, die Risiken zu analysieren, zu bewerten, zu minimieren bzw. ganz zu vermeiden. Und wenn der Notfall dennoch eintritt, muss ich dafür sorgen, dass der Effekt so gering wie möglich bleibt. Man muss die Ingenieure, die die Technologie genau verstehen, aber oftmals betriebsblind sind, triggern und die richtigen Fragen stellen. Viele Notfälle werden nicht durchdacht und schon gar nicht trainiert. Deshalb werden Risiken als solche nicht wahrgenommen, weil noch nie etwas schief gegangen ist. HAZOP ist eigentlich ein Verfahren aus der Chemie und dem Anlagenbau, aber man kann diese Technologie auf alle Risiken anwenden. 

Was hat Sie motiviert, Ihre langjährige Expertise als Partner im WB Risk Prevention Systems Team einzubringen? 

Hagens: Ich finde es unheimlich spannend, dass so viele unterschiedliche Menschen mit Erfahrungen aus so unterschiedlichen Bereichen zusammentreffen. Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Methodik einzigartig sind, mit Risiken umzugehen. Die meisten Wettbewerber schauen auf Risiken zum Beispiel nur durch die Brille des Geheimdienstlers oder des Finanzexperten. Wir blicken in die Breite, auch branchenüberschreitend. Wir haben eine theoretische Grundlage, aber vor allem eine praktische Erfahrung mit Risiko. Mit den Kollegen können wir die komplette Palette von Risiko- und Krisenmanagement bestreiten. 

Was sind Ihre ersten Aufträge?  

Hagens: Wir beraten ein deutsches Unternehmen, das in Indien in einem Joint Venture aktiv ist. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass die Operation, anders als im Vertrag festgeschrieben, nicht zertifiziert und auch nicht versichert ist. Die Zertifizierung müssen wir jetzt so schnell wie möglich nachholen und die Versicherungslücken schließen. 

Wenn man permanent das Risiko für andere einschätzt, wie wirkt sich das auf den eigenen Alltag aus? 

Hagens: In einem Restaurant sitze ich immer mit dem Rücken zur Wand, um die Tür im Blick zu haben. In einem Hotel wohne ich nie oberhalb des fünften Stocks, weil nur bis dahin die Leiter der Feuerwehr reicht. Und ich checke immer sofort die Notausgänge, die gerade im Ausland oftmals durch Kartons oder Wagen der Zimmermädchen versperrt sind. Als ich in Kabul über die Straßen lief, habe ich immer gewusst, wer hinter mir ist und wer vor mir. Habe ich das Auto schon gesehen? Sitzen da zwei oder drei Leute drin? Das wird ein Automatismus. Schlafen kann ich trotzdem ruhig, selbst im Militärcamp. 

Sie haben früher professionell Volleyball gespielt. Was haben Sie vom Profisport für Ihre zweite Karriere gelernt? 

Hagens: Dass man sich durchsetzen und für Erfolg kämpfen muss. Und wenn man in seine Arbeit investiert, dann werden die Resultate kommen. Auf Spitzenniveau habe ich aber nur zwei Jahre in Belgien gespielt, zuvor war ich in der Jugendnationalmannschaft und später im Nationalteam beim Militär. Der Sport hat genug Geld eingebracht, dass ich in dieser Zeit nie jobben musste. Als ich herausfand, dass ich ein sehr guter Bundesligaspieler war, es aber nicht für die Europa League oder gar Weltklasse reichte, habe ich gewusst, dass es Zeit ist, aufzuhören, auch weil ich auf Dauer nicht genug verdient hätte. 

Mehr über die berufliche Laufbahn im Krisenmanagement und Versicherungswesen von Marcel Hagens erfahren Sie hier.

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