Ein Terroranschlag hat keine Vorlaufzeit

Vorlaufzeit Terroranschlag Luftfahrt
Drei Kontinente, vier Länder und viele Krisen: Mehr als 40 Jahre arbeitete Werner Heesen in der Luftfahrtbranche und erlebte einige Notsituationen – darunter auch einen Terroranschlag. Im WB Risk Prevention Systems Team liegt sein Fokus auf der Organisation von Logistik und Sicherheitskonzepten für Mitarbeiter von Unternehmen.

Seit 15 Monaten kämpft Deutschland mit der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. An welchen Aufträgen arbeiten Sie gerade? 

Werner Heesen: Die Pandemie beschäftigt natürlich auch unser Team im Geschäftsbereich WB Risk Prevention Systems. Mit mehreren Kollegen berate ich zum Beispiel eine große Kommune im Umgang mit SARS-CoV-2. Wie fast überall existieren auch hier in der Verwaltung sehr starre Strukturen. Die Herausforderung besteht in der Krise darin, diese Strukturen anzupassen, Verantwortlichkeiten neu zu ordnen, um blitzschnell reagieren zu können. Da tun sich viele Leute schwer, die sich an Hierarchien anlehnen möchten. In einem Teilprojekt geht es zum Beispiel um die Kommunikation mit der städtischen Bevölkerung. Zunächst einmal mussten wir sowohl die Verwaltungsmitarbeiter als auch die Bürgerinnen und Bürger dahingehend sensibilisieren, dass es sich bei Covid-19 wirklich um eine lebensbedrohliche Gefahr handelt. Jetzt muss die Kommune für das Impfen werben, vor allem auch in Gruppen, die schwieriger zu erreichen sind. Bei der muslimischen Community zum Beispiel gelingt das über bekannte Persönlichkeiten oder die Imane in den Moscheen, islamische Verbände und andere Multiplikatoren. In einem weiteren Teilprojekt beschäftigen wir uns damit, wie die Behörde aus der Krise lernen kann. Denn die Pandemie wird ein ständiger Begleiter werden. Davon bin ich fest überzeugt. 

Sie haben auf drei Kontinenten in verschiedenen Führungspositionen für die Lufthansa gearbeitet, davon 13 Jahre in Indien. Ihre Expertise auf dem Subkontinent ist seit 2012 auch bei Dr. Wamser + Batra gefragt. 

Heesen: Aktuell beraten wir ein deutsches Industrieunternehmen, das kein glückliches Händchen bei der Auswahl eines Joint-Venture-Partners in Indien hatte. Man hat sich zu schnell ineinander verliebt und nicht das Vorleben des Partners in Frage gestellt. Leider ist dies kein Einzelfall. Jetzt streben wir mit dem Kunden eine zügige, möglichst schmerzfreie Auflösung an, im Rahmen des Vertrages oder einer außergerichtlichen Einigung. Gleichzeitig muss es gelingen, dass der operationelle Betrieb in Indien störungsfrei weiterläuft. Denn der Kunde ist auf dem Subkontinent in enge Geschäftsbeziehungen eingebunden, die keinen Schaden nehmen dürfen.  

Im WB Risk Prevention Systems Team blicken alle Partner auf jahrzehntelange Erfahrungen mit Krisen zurück. Aber jeder bringt auch eine gewisse Spezialisierung mit. Worauf liegt Ihr Fokus? 

Heesen: Den größten Teil meines Berufslebens habe ich in der Luftfahrtbranche verbracht und in dieser Zeit unter anderem Pandemien, Terroranschlag, Evakuierungen, Überflutungen oder Erdbeben erlebt. Meine Aufgabe war es dabei immer, die Logistik zu organisieren und für die Sicherheit von unseren Passagieren und Mitarbeitenden zu sorgen.

In Ihre Zeit bei der Lufthansa fiel auch der mehrtägige Terroranschlag in Mumbai, unter anderem auf zwei Luxushotels im Jahr 2008. Nach offiziellen Angaben starben 166 Menschen. Wie haben Sie diese Tage erlebt? 

Heesen: Ja, Mumbai war das indische 09/11. In der Vorwoche hatte ich noch im Taj Mahal Hotel, das bei dem Anschlag zum Teil abbrannte, gewohnt, wie sich später herausstellte, unter einem Dach mit den Terroristen. Und im Oberoi Hotel war ich essen. Bei dem Gedanken daran, wird mir immer noch ganz mulmig. Das werde ich nie vergessen. Im Oberoi waren zum Zeitpunkt des Anschlags auch unsere Crews mit rund 50 Mitgliedern untergebracht.

Sie waren damals bei der Lufthansa Director South Asia, wie haben Sie die Krise gemanagt? 

Heesen: Ich habe mich vor allem um die Kommunikation und die Logistik gekümmert. Die im Hotel eingeschlossenen Crewmitglieder waren zwei bis drei Tage in ihren Zimmern gefangen, weil sie hörten, dass auf den Gängen geschossen wurde. Sie schwebten in Lebensgefahr und waren nur über ihre Handys erreichbar. In Frankfurt hatten wir eine Kommunikationsbrücke eingerichtet mit einer permanenten Hotline zu den Betroffenen, damit man ständig zu ihnen Kontakt halten und die psychologische Betreuung sicherstellen konnte.  

Da der Flugverkehr sofort eingestellt worden war, waren zudem rund 300 unserer Passagiere in Mumbai gestrandet. Wir mussten sie in Hotels unterbringen, Rückreisepläne machen, sie laufend mit Informationen versorgen, die Betreuung vor Ort sicherstellen. In solch einer Ausnahmesituation ist das eine extreme Herausforderung. Bis alle Menschen versorgt waren, verging eine Woche.

Was waren aus Ihrer Sicht wichtige Lessons Learned, um künftige Krisen auch ohne Vorlaufzeit zu managen?

Heesen: Bei einer weltweit agierenden Fluggesellschaft, die auch in Krisengebiete fliegt, hört Krisenmanagement nie auf. Das ist ein fortlaufender Prozess der Erneuerung auf Basis der Lessons Learned nach jeder Krise. Neben meiner Aufgabe als Direktor Südasien war ich auch der Unternehmenssprecher für Lufthansa in Indien. Wir wurden ständig auf bestimmte Krisensituationen vorbereitet, das war wie ein TÜV. Einmal jährlich haben wir mit Profis von der IATA trainiert, wie und in welchen Zeitabständen wir in Krisenfällen reagieren. Ein zweiter Punkt ist die Organisation. Wenn etwas wie in Mumbai passiert, muss sofort klar sein, wer was im Krisenstab macht. Da gibt es keine Diskussion, da ziehen sie die Schublade auf und die Arbeit kann sofort beginnen. Ein Flugunfall oder ein Terroranschlag haben keine Vorlaufzeit. 

Welche Eigenschaften zeichnen einen guten Krisenmanager aus? 

Heesen: Er muss schnell und flexibel reagieren und extrem diszipliniert sein. Er muss die Strukturen, die festgelegt wurden, für sich einhalten und sicherstellen, dass sie von allen anderen beachtet werden. Er muss die ihm anvertrauten Menschen mitnehmen. Alle müssen das Gefühl haben, an einem Strang zu ziehen. In einer Krise erreicht der Adrenalinpegel aller Beteiligten Höchstwerte. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Am Ende ist es dafür immer ein gutes Gefühl, wenn man es gemeinsam geschafft hat und das ist auch der Motivationsschub für die nächste Krise. 

Wie groß ist die Bereitschaft von Unternehmen, sich nach Bewältigung einer Krise, wie einem Terroranschlag, mit dem Thema Prävention zu beschäftigen? Prävention kostet ja auch Geld… 

Heesen: Vor allem Mittelständler wähnen sich oftmals in Sicherheit, sind aber hoch gefährdet. Etwa durch Sicherheitslücken bei der IT, Betriebsspionage oder wie wir das jetzt in Indien erlebt haben, dass der indische Partner mit Geschick versucht, den deutschen Partner auszubooten. Wenn wir feststellen, dass bei Unternehmen Potenziale für Bedrohungen vorhanden sind, sehen wir es als unsere Aufgabe, diese ergebnisoffen von einer professionellen Gefahrenanalyse zu überzeugen.  

Mit SARS-CoV-2 ist Deutschland erstmals Teil einer Pandemie und hatte auch noch keine Erfahrung mit einer Epidemie. Sie haben schon sehr viel mehr erlebt. 

Heesen: Covid ist sicher die schlimmste Pandemie. Aber in meiner Karriere ist das schon die vierte oder fünfte Pandemie bzw. Epidemie. Alle zwei bis drei Jahre kam eine Welle, sei es die Pest beim Start meines Jobs in Indien, später dann zum Beispiel die Vogelgrippe. Die Erfahrungen aus dieser Zeit haben sicher dazu beigetragen, dass ich sofort ein gewisses Grundverständnis bei der jetzigen Pandemie hatte. Beim Krisenmanagement ist vor allem eine strikte Organisation erforderlich. Es darf keine Grauzone in der Krise geben. 

Mehr über die (Krisen-) Erfahrungen von Werner Heesen erfahren Sie hier.

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