Krisenkommunikation in Kommunen – Wie erreiche ich meine Bevölkerung?

Was können Kommunen aus der Corona-Pandemie für künftige Krisen lernen?

Die Ausnahmesituation „Corona“ ist gerade einmal wenige Monate her. Inzwischen sind neue Herausforderungen hinzugekommen, wie die geopolitischen Spannungen (Ukraine und Israel), Naturkatastrophen (Ahrtal) oder gehäufte Cyber-Attacken, so dass kaum Zeit blieb, sich als Kommune zu fragen, was man denn heute in einer solchen Krise anders bzw. besser machen könnte.

Zudem können wir alle „Corona“ nicht mehr hören und sind froh, das Thema (hoffentlich) hinter uns lassen zu können…

Deswegen wollen wir uns gezielt mit einem Aspekt beschäftigen, der uns immer wieder während unserer Tätigkeiten als Krisenstabsmitarbeiter in deutschen Kommunen begegnet ist: Krisenkommunikation.

Kaum ein Unternehmen konnte mit dem Beginn der Corona-Pandemie auf Erfahrungen aus ähnlichen, bereits erlebten Situationen und dementsprechend vorbereitete Notfall- und Krisenpläne zurückgreifen. So ging es aber nicht nur Unternehmen, sondern auch der öffentlichen Hand, d.h. dem Bund, den Ländern sowie den Kommunen und deren Behörden. 

Diese waren anfänglich vor allem auf gesundheits- und ordnungspolitische Maßnahmen konzentriert, wie z.B. Kontaktnachverfolgung und Quarantäneanordnungen des Gesundheitsamtes, Maskenpflicht in Innenstädten, Begrenzung der Besucheranzahl in Einzelhandelsgeschäften oder Vorgaben für Schulen. Später folgten dann die Impfkampagnen, vor allem aber der Aufbau und Betrieb der stationären Impfzentren.

Wahrnehmung schaffen und selbst wahrnehmen

Ein Grundbaustein, der dabei konsequent mitgedacht werden muss, lief bei Corona aber eher nebenbei und über die üblichen Routinewege: die Kommunikation. Man dachte in der altbekannte Verhaltensweise: Die Stadt informiert ihre Bürger. Ein gegenseitiger Austausch fand nicht statt.

Ein Beispiel aus unserer Praxis: Nach der Einbindung der muslimischen Glaubensgemeinschaft gefragt, wurde seitens einer Großstadt mit „Die erhalten unseren Newsletter!“ geantwortet. Hinter einer solchen Aussage steckt eine Erwartungshaltung: Die Stadt informiert über einen Newsletter und erwartet, dass die Betroffenen sich die Informationen -z.B. von der Website der Kommune- selbst besorgen. Die Stadt geht also davon aus, dass die Bürger ihrer „Holschuld“ nachkommen.

Was das konkret für Konsequenzen hat, wird am Beispiel der Corona-Schutzimpfung deutlich:  

  • Die Kommunen fokussierten sich darauf, ein stationäres Impfangebot bzw. die entsprechende Infrastruktur zu schaffen (Impfzentren). Vom Bürger wurde aber erwartet, sich selbst zu informieren, die „Pros und Contras“ der Impfung möglichst rational abzuwägen und sich um Termine zu kümmern.
  • Der Bürger sollte sich also zu „mir“ auf den Weg machen, um „mein” Angebot (das Impfzentrum) wahrzunehmen.
  • Aber hatte der Bürger überhaupt die richtigen Informationen? Kannte er die seriösen Quellen? Oder bezog er sein Wissen aus dubiosen Quellen? All die vielfältigen Gründe, warum sich Teile der Bevölkerung nicht im Einklang mit den Erwartungen und Wünschen der Behörden verhielten, bekam die öffentliche Hand erst mit, als der Bürger nicht beim Impfzentrum oder den Ärzten auftauchte.
  • Was genau die Gründe für das Fernbleiben waren, war nicht bekannt und basierte rein auf Vermutungen. Zudem wurde nur selten differenziert. Mit Aussagen wie „Das werden wohl die Leugner und Querdenker sein!“ konnte man es sich auch recht einfach machen, denn wer glaubt, dass Bevölkerungsteile für rationale Argumente unempfänglich sind, braucht sich um diese „Unbelehrbaren“ nicht weiter zu kümmern…

Gerade im Krisenfall ist es aber wichtig, a) eine klare, zielgerichtete und vor allem verständliche Kommunikation zu garantieren, die b) keinen Platz für Fehlinterpretationen oder Missverständnisse lässt. Dabei muss c) auch gewährleistet werden, dass ALLE betroffenen Bevölkerungsgruppen erreicht werden. 

Im Krisenfall gibt es also keine „Holschuld“, sondern nur noch den Fokus, so schnell wie möglich die richtigen Information zur relevanten Bevölkerung zu bringen: Wie kommt das Gesagte an und wird es verstanden? In was für einer Informationswelt bewegen sich die Empfänger und wie muss ich sie dort abholen? Wie sehen die Betroffenen die Situation und welche Wünsche und Bedenken haben sie?

Ungefilterte Antworten bekommt man nur am Ort des Geschehens

Antworten auf die zuvor gestellten Fragen erhält man nur am ‚Ort des Geschehens‘ (japanisch: “Gemba”), indem man die betroffenen Bevölkerungsgruppen selbst aufsucht und befragt. Was das konkret bedeutet, wird an dem bereits vorgenannten Beispiel einer örtlichen „Impfkampagne“ deutlich:  

  • Die Kommune stellte fest, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen weniger geimpft waren als andere und dass diese Gruppen bestimmten Quartieren zugeordnet werden konnten. Im Fokus standen dabei vor allem die Quartiere, in denen sozial schwächere Gruppen wohnten, die besonders nachteilig von Corona und den dazugehörigen Einschränkungen getroffen wurden (gemessen an Aspekten wie Anzahl von Quarantäneanordnungen, Einkommensausfälle, Krankheits- und Todesfällen, entfallene Schulstunden, geschlossene Freizeiteinrichtungen etc.).
  • Um die Situation zu beurteilen, wurden mithilfe der Gemba-Walk-Methode (= gehe zum Ort des Geschehens) die betroffenen Stadtteile besucht. Vor Ort wurde u.a. mit den Betroffenen selbst, aber auch mit Einrichtungen gesprochen (Schulen, Gastronomen, Einzelhändler, Haus- und Kinderärzte, Sozialträger).

Gemba-Walk verdeutlicht Problem auf drei Ebenen

  1. Sprache
    Nicht alle Bewohner der betroffenen Quartiere waren der deutschen (Verwaltungs-) Sprache mächtig, sodass es zu einem Kommunikationskonflikt kam. Die Informationen konnten nicht verstanden werden. Waren Informationen vorhanden, dann nur auf Deutsch. Häufig verfügten die Betroffenen aber auch in der eigenen Landessprache nicht über hinreichende Lesekompetenzen, sodass das Bereitstellen rein schriftlicher Informationen unzureichend war.
  2. Informationsquellen & Medienkompetenz 
    Die Betroffenen nutzten „andere“ Informationsquellen, häufig auch aus ihren Heimatregionen in ihren Landessprachen, aber auch unseriöse Quellen, ungeprüfte Aussagen aus sozialen Netzwerken sowie Falschmeldungen. Die gängigen Zeitungen und Medien (z.B. Städtische Tageszeitung, Spiegel, Zeit, Süddeutsche, FAZ), aber auch der Newsletter oder die Website der Stadt wurden nicht genutzt oder waren sogar komplett unbekannt. Dahingegen spielten Gerüchte eine große Rolle: Es fand kein „aktives Informieren“ statt, sondern die Betroffenen nahmen das wahr, was ihnen von Anderen weitergeleitet wurde („passives Informieren“). Oftmals war ihnen gar nicht bewusst, dass es noch andere Informationen und andere Informationsquellen gab.
  3. Transferkompetenz 
    Die Betroffenen verfügten häufig nicht über die hinreichende Kompetenz, Informationen und Handlungsempfehlungen auf sich selbst zu übertragen oder Risiken (z.B. der Impfung) mit anderen Risiken (z.B. Tod durch Corona) ins Verhältnis zu setzen. Da die Informationen zu Corona im Laufe der Monate immer „mehr“ und immer komplexer geworden waren, war es für die betroffenen Personen immer schwieriger, „einfache“ Antworten auf Basisfragen zu bekommen (Was ist Corona, was kann es bei mir anrichten und wie kann ich mich schützen?). 

Das bedeutet, dass es Teile der Bevölkerung gab, die nicht erreicht und nicht angemessen aufgeklärt wurden. Deshalb richtete sich der Fokus unserer Arbeit vor Ort auf angepasste Informationskampagnen, die „am Ort des Geschehens“ (Gemba) ansetzten und die Betroffenen in deren Landessprache ansprachen. Hierfür waren „Aufklärer“ erforderlich, die Zielgruppen gezielt aufsuchten. Wir verweisen diesbezüglich auf die Analogie erfolgreicher Straßenwahlkämpfe politischer Parteien / Wahlkämpfe „vor Ort“. 

Wer ist eigentlich für eine Kampagne verantwortlich?

Ein weiteres Problem lag in der fehlenden eindeutigen Zuständigkeit, denn es gab in den Kommunen häufig keinen für eine entsprechende Kampagnen zuständigen „Kümmerer“ / keinen zentralen Verantwortlichen, keinen „Kampagnenleiter“. Vielmehr waren viele Stellen gleichermaßen beteiligt, beispielsweise das Sozialdezernat, das Schulamt, der Krisenstab sowie die Pressestelle bzw. der Stadtsprecher, ohne dass sich dadurch Verantwortlichkeiten oder Zuständigkeiten ergaben.  

Wir raten daher, bei Krisen, die eine direkte und dringende Kommunikation mit der Bevölkerung erforderlich machen, eine „Kampagnenleitung“ einzurichten. Auch hier sei auf die Analogie „Wahlkämpfe von Parteien“ verwiesen, wo es entsprechend verantwortliche Kampagnenleiter bzw. eine geeignete Organisationsstruktur gibt. 

Wie wir helfen können:

Wir beraten Kommunen, Bundesländer und Ministerien der DACH-Region bei:

  • Der Gewinnung von Informationen und Daten zur Wirksamkeit der Krisenmaßnahmen
  • Der Identifikation von organisatorischen und kommunikativen Schwachstellen

Ziele der Projekte sind z.B. der Aufbau von Krisenmanagement- und Projektstrukturen in der Verwaltung, Änderung bisheriger Routineabläufe, zielgerichtete Krisenkommunikation zur Bevölkerung und latente und flexible Verbesserung und Anpassung an rasante Änderungen. 

Als Krisenmanager haben wir unterschiedlichste Krisen im Bereich „Kommunikation mit der Bevölkerung bewältigt: Als verantwortlicher Projektleiter beim technischen Umbau der Flughäfen Taipeh/Taiwan und Seoul/Südkorea, als Unterstützer von Unternehmen/Konzernen beim Aufbau entsprechender Vorgaben und technischer Umsetzungen, als Covid-19 Beauftragter am Flughafen Leipzig, als Projektleiter für Krisenprojekte während der Corona-Epidemien in mehreren deutschen Kommunen, als Krisenstabsleiter bei Naturkatastrophen inkl. Verantwortung für Evakuierungen etc. 

Sie haben Fragen?

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