Risikomanagement in Kommunen – Ein Leitfaden für lokale Resilienz

Die Notwendigkeit eines Risikomanagements in Kommunen oder Landkreisen

In einer sich stetig verändernden Welt sind Kommunen immer wieder neuen Risiken ausgesetzt: z.B. Naturkatastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen, technologischen Bedrohungen wie Cyberangriffe oder gesellschaftlichen Herausforderungen wie Pandemien. Kommunen haben die verantwortungsvolle Aufgabe, ihre Bürger, Unternehmen, Einrichtungen und ihre Infrastrukturen zu schützen. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, benötigen sie ein effizientes Risikomanagementsystem. Das Risikomanagement bildet dabei eine essenzielle Grundlage, um diese Schutzaufgaben systematisch und effektiv wahrzunehmen.

Drei Hauptfragen stehen dabei im Vordergrund:

  1. Welche aktuellen Risiken sind aus Sicht der Verwaltung, der Rettungsdienste, aber auch der Unternehmen und der Bevölkerung vor Ort überhaupt relevant? Wie sind sie zu priorisieren?
  2. Welche Maßnahmen und Strategien können eingesetzt werden, um die Kommune langfristig resilienter zu gestalten?
  3. Wie nehme ich als Kommune relevante Änderungen wahr? Kommen neue Risiken hinzu, sind bisherige weniger relevant geworden? Wie schaffe ich es in einem stetig laufendenden Prozess diesen Änderungen gerecht zu werden?

Risikoanalyse 

Relevante Gefährdungen für den kommunalen Bevölkerungsschutz

Jede Kommune hat ihre eigenen individuellen Herausforderungen und Risikoprofile. Einige Städte könnten beispielsweise anfälliger für Naturkatastrophen sein, während andere möglicherweise stärker von technologischen oder gesellschaftlichen Risiken betroffen sind. Deswegen ist zunächst ein umfassendes Sammeln bzw. ein systematischer Überblick über diese Gefährdungen auf kommunaler, individueller Ebene essenziell.

Dies kann durch folgende Schritte erreicht werden:

  1. Erstellung einer Übersicht der wichtigsten Aktivitäten, die in der Kommune bzw. im Landkreis stattfinden: 
    • Welche hiesige Unternehmungen bzw. Einrichtungen sind für die Aufrechterhaltung der Funktionalität besonders relevant und müssen daher zur örtlichen „kritischen Infrastruktur“ gezählt werden (wie z.B. Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Medien und Kultur, Wasser, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen, Siedlungsabfallentsorgung, Staat und Verwaltung)?
    • Welche Aktivitäten sollten aufgrund des möglichen Schadenspotenzials ebenfalls als „kritisch“ eingestuft werden (z.B. Universitäten, Kongresszentren, größere Veranstaltungsorte)?
    • Welche Unternehmen oder Einrichtungen könnten z.B. aufgrund ihrer überregionalen Bekanntheit, ihrer Reputation oder weil sie bereits im Mittelpunkt kritischer gesellschaftspolitischer Diskussionen stehen besondere Aufmerksamkeit erlangen?
  2. Identifikation relevanter Gefährdungen aus der Expertensicht: Sowohl Naturereignisse als auch technologische und gesellschaftliche Risiken sollten gleichermaßen als mögliche Risikoszenarien in Betracht gezogen werden („von Naturkatastrophen bis hin zu sozialen Unruhen“). Experten können die „klassischen“ Stakeholder sein, wie Rettungsdienste, kommunale Unternehmen der Ver- und Entsorgung, die Stadtverwaltung, aber auch externe Risikomanager.
  3. Moderierte Einbindung der Unternehmen, Einrichtungen und Bevölkerung: Sammeln von Feedbacks, Änderungsvorschlägen und Ergänzungen von Unternehmen und Einrichtungen der Kommune. Dieses kann in Form einer oder mehrerer moderierten Sitzungen geschehen, an denen Vertreter aus Wirtschaft, Kultur, Soziales, Bildung und Freizeit teilnehmen. Ziel: An welche relevanten Risiken haben wir als Stadtverwaltung bislang nicht gedacht?
  4. Erstellung von Factsheets für jede Gefährdung: Zusammentragen von Fachexpertise bzw. Hintergrundinformationen zu den einzelnen Risiken. Dieses sollten auch Ereignisbeispiele, Referenzszenarien und eine Risikoabschätzung beinhalten.
  5. Basis für Vorsorgeplanung: Die Factsheets bieten den verantwortlichen Führungskräften eine klare Grundlage für ihre Vorsorgeplanung, die in Form von Handlungsempfehlungen dokumentiert werden sollten.
  6. Visualisierung: Eine Risikomatrix oder Risk Map o.ä. bietet einen schnellen Überblick über die dringlichsten Risiken und deren potenzielle Auswirkungen.

Potenzialanalyse & Optimierungsstrategie

Identifizierung von Schwachstellen und Handlungsempfehlungen für eine resilientere Kommune 

Anschließend geht es darum, anhand der Risikomatrix die konkreten Potenziale und vorhandenen Schwachstellen der Kommune zu analysieren und konkrete Maßnahmenvorschläge zur Verbesserung zu entwickeln.

  1. Analyse der kritischen Aufgaben der Kommune: Welche Aufgaben müssen auch in Krisensituationen zwingend sichergestellt werden?
  2. Prüfung bestehender Business Continuity Management Maßnahmen: Prüfung, ob tatsächlich bei allen relevanten Stellen ein sogenannter „Business Continuity Management-Prozess“ eingeführt wurde (= Prozess, der Organisationen dabei unterstützt, kritische Geschäftsprozesse während und nach Notfällen aufrechtzuerhalten). Überprüfung, ob dieser noch ergänzt oder angepasst werden muss. Einholen von Feedbacks und Empfehlungen von Experten.
  3. Identifizierung von Optimierungspotenzialen: Wo gibt es Schwachstellen, und wie können diese behoben werden?
  4. Best Practice Beispiele: Recherche nach internationalen Best Practice Beispielen, evtl. Einbindung der dort gemachten Erfahrungen und Empfehlungen.
  5. Erarbeitung von Maßnahmenvorschlägen: Welche konkreten Schritte müssen oder können unternommen, was kann von den Best Practise Beispielen auf die eigene Kommune übertragen werden und wer ist dafür verantwortlich?
  6. Kapazitätsbewertung und Performance: Es ist wichtig, die aktuellen Kapazitäten und Leistungsfähigkeit der Kommune bzw. der beteiligten Stellen zu bewerten. Dies kann durch Überprüfungen, Umfragen und vor allem Simulationen und Planspiele erreicht werden.
  7. Schulungen und Weiterbildungen: Die Identifizierung von Schulungs- und Weiterbildungsbedarf kann dazu beitragen, die Resilienz der Kommune zu stärken, indem die beteiligten Player vorbereitet und riskante Situationen geprobt werden.
  8. Technologische Upgrades: In einer digitalen Ära können technologische Lösungen wie Frühwarnsysteme und Notfallkommunikationssysteme erheblich zur Risikominderung beitragen.

 Verstetigungsprozess

Kontinuität im Risikomanagement 

Ein effektives Risikomanagement ist ein kontinuierlicher Prozess. Es reicht nicht aus, einmalig Risiken zu identifizieren und Maßnahmen zu definieren. Vielmehr geht es darum, diesen Prozess fest im kommunalen Ablauf zu verankern.

Leider kommt aber gerade an dieser Stelle in der Praxis zu Mängeln. Der Verstetigungsprozess wird in der Realität kaum gelebt. Vielmehr erarbeiten Kommunen häufig mit großem Aufwand ihren Risikoplan; vielleicht unbewusst auch aus der Motivation heraus, diesen zertifizierungsgleich zum Schutz gegen etwaige Haftungsansprüche „in der Schublade zu haben“. Dieser Plan wird dann aber nicht „gelebt“.

Dabei ist der Verstetigungsprozess aus unserer Sicht aus mehreren Gründen von zentraler Bedeutung:

  1. Kontinuierliche Verbesserung und Anpassung: Risiken sind dynamisch und ändern sich im Laufe der Zeit aufgrund verschiedener interner und externer Faktoren. Ein Verstetigungsprozess gewährleistet, dass Risikomanagementmaßnahmen regelmäßig überprüft und aktualisiert werden, um den sich ändernden Gegebenheiten Rechnung zu tragen.
  2. Langfristige Resilienz: Ein systematischer Verstetigungsprozess trägt dazu bei, die Resilienz einer Organisation oder einer Gemeinschaft gegenüber verschiedenen Risiken zu stärken. Er stellt sicher, dass Maßnahmen nicht nur reaktiv, sondern proaktiv und langfristig angelegt sind.
  3. Verantwortlichkeit und Kontrolle: Der Prozess stellt sicher, dass die Umsetzung von Maßnahmen überwacht wird und dass die Verantwortlichen regelmäßig über den Fortschritt berichten. Dies fördert die Verantwortlichkeit und stellt sicher, dass die Umsetzung nicht nur geplant, sondern auch durchgeführt wird.
  4. Effiziente Ressourcennutzung: Durch regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen können Ressourcen effizienter eingesetzt werden. Dadurch können unnötige oder veraltete Maßnahmen gestoppt und Ressourcen auf dringendere oder effektivere Maßnahmen umgeleitet werden.
  5. Einbindung relevanter Stakeholder: Ein kontinuierlicher Prozess fördert die Zusammenarbeit und Koordination zwischen verschiedenen Akteuren und Abteilungen. Dies ist insbesondere in komplexen Systemen mit vielen Beteiligten, wie in einer Kommune oder einem Landkreis, von entscheidender Bedeutung.
  6. Bewusstseinsbildung: Regelmäßige Überprüfungen und Updates des Risikomanagements halten das Thema im Bewusstsein der relevanten Stakeholder und fördern eine Kultur des Risikobewusstseins.
  7. Rechenschaft und Transparenz: Der Verstetigungsprozess bietet die Möglichkeit, den Fortschritt und die Wirksamkeit von Maßnahmen zu dokumentieren und zu kommunizieren. Dies trägt zur Transparenz bei und ermöglicht es den Beteiligten und der Öffentlichkeit, den Erfolg (oder Misserfolg) von Risikomanagementinitiativen zu bewerten.

Insgesamt stellt der Verstetigungsprozess sicher, dass die vereinbarten Prozesse und Maßnahmen auf einem konstanten und dauerhaften Niveau etabliert werden. Ohne einen solchen Prozess besteht die Gefahr, dass Maßnahmen sporadisch, reaktiv und ohne klaren Überblick oder Kontrolle implementiert werden. Es ist daher von zentraler Bedeutung, den Verstetigungsprozess als integralen Bestandteil eines effektiven Risikomanagements zu etablieren. Nur so kann das temporäre bzw. pilotierte Projekt in dauerhafte Prozesse und Strukturen transformiert werden.

Krisenkommunikation

Die Bevölkerung mit den richtigen Inhalten erreichen

Ein gut durchdachtes Kommunikationskonzept, das klare Verantwortlichkeiten für interne und externe Kommunikation definiert, ist im Krisenfall entscheidend. Gerade im Krisenfall ist es wichtig, a) eine klare, zielgerichtete und vor allem verständliche Kommunikation zu garantieren, die b) keinen Platz für Fehlinterpretationen oder Missverständnisse lässt. Dabei muss c) auch gewährleistet werden, dass ALLE betroffenen Bevölkerungsgruppen erreicht werden. 

Dabei kommt es nicht nur auf eine enge Zusammenarbeit von Verwaltung, Rettungsdiensten und kritischer Infrastruktur an – sondern ebenso muss die Bevölkerung schnell und adäquat erreicht werden. Dieses ist herausfordernder als gedacht (wie Beispiele aus der Praxis zeigen).

Was sollte berücksichtigt werden?

  1. Individuelle Krisenkommunikationspläne: Jede Gemeinde hat individuelle Voraussetzungen sowohl technischer als auch organisatorischer Art. Deswegen benötigt man maßgeschneiderte Krisenkommunikationspläne, die diese spezifischen Gegebenheiten berücksichtigen.
  2. Schulungen für Verantwortliche: Durch Schulungen und Workshops können lokale Entscheidungsträger in den Bereichen Krisenkommunikation geschult werden. Dies stärkt ihre Fähigkeiten und ihr Verständnis für die Bedeutung einer klaren und effektiven Kommunikation.
  3. Krisen-Hotline und -Beratung: Eine im Bedarfsall rund um die Uhr erreichbare Hotline oder Beratungsdienste können den Bewohnern helfen, in Krisensituationen schnell angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Die Verwaltung kann so auch rückkoppeln, welche Fragen aus Sicht der Bevölkerung vordringlich sind und prüfen, ob ihre Kommunikationsstrategie passt.
  4. „Gemba Walk“ (zum Ort des Geschehens gehen): Wie kommt das Gesagte an und wird es verstanden? In was für einer Informationswelt bewegen sich die Empfänger und wie muss ich sie dort abholen? Wie sehen die Betroffenen die Situation und welche Wünsche und Bedenken haben sie? Antworten auf diese Fragen erhält man nur am ‚Ort des Geschehens‘ (japanisch: “Gemba”), indem man die betroffenen Bevölkerungsgruppen selbst aufsucht und befragt.  
  5. Medienbeziehungen pflegen: Die Unterstützung bei der Beziehungspflege zu lokalen Medien ist entscheidend, um sicherzustellen, dass Informationen präzise und vertrauenswürdig kommuniziert werden.
  6. Übungen und Simulationen: Regelmäßige Übungen und Krisensimulationen bieten Gemeinden die Möglichkeit, ihre Reaktionsfähigkeit zu testen und zu verbessern.
  7. Aktualisierung und Anpassung: Kontinuierliche Überwachung ermöglicht es, die Kommunikationsstrategie bei Bedarf anzupassen und sicherzustellen, dass sie aktuell bleibt.

Risikomanagement als gemeinschaftliche Aufgabe der gesamten Kommune

Spätestens Corona hat gezeigt, dass Risikomanagement nicht nur eine Frage der Stadtverwaltung oder der Rettungskräfte ist, sondern eine gemeinschaftliche Aufgabe der gesamten Kommune. Dies schließt nicht nur die kommunalen Strukturen ein, sondern ausdrücklich auch die Wirtschaft und vor allem die Bevölkerung. 

So spielt ist das Funktionieren der Wirtschaft für das Wohlergehen der Bevölkerung eine essenzielle Rolle. Damit sind nicht nur Unternehmen der kritischen Infrastruktur z.B. der Energie- oder Wasserversorgung oder des Gesundheitssektors gemeint, sondern auch technische Betriebe / Produktionsstätten oder Dienstleistungsbetriebe, die eine stabilisierende Rolle im sozialen und wirtschaftlichen Gefüge der Gemeinde spielen. Fallen beispielsweise in einer Kommune langfristige, relevante Arbeitgeber aus, kann das soziale Unruhen fördern bzw. Ängste in der Bevölkerung schüren.

Ein informiertes, vorbereitetes und engagiertes Bürgertum kann zudem in Krisenzeiten eine entscheidende Rolle spielen sowohl in der Selbsthilfe als auch bei der Unterstützung der Gemeinschaft.

Eine „resiliente Kommune“ bzw. ein „resilienter Landkreis“ ist nur durch die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten möglich. Das bedeutet, dass jeder Einzelne, jede Institution und jedes Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Risikomanagements und die aktive Beteiligung an diesem Prozess sind auf allen Ebenen entscheidend, um das Zuhause auch in Zukunft sicher und lebenswert zu halten.

Fazit 

Für eine sichere und zukunftsfähige Kommune ist ein systematisches Risikomanagement unerlässlich. Durch eine klare Identifikation von Risiken, das Erkennen von Optimierungspotenzialen und einen kontinuierlichen Managementprozess kann nicht nur die Sicherheit, sondern auch die langfristige Resilienz von Kommunen oder Landkreisen gestärkt werden.