Die Europameisterschaft der UEFA ist noch im vollen Gange und dennoch ist bereits am Ende der Gruppenphase zu erkennen, dass das Krisenmanagement einige Diskussionsgrundlagen bietet.
Ein Beitrag von Marcel Hagens
Als am Eröffnungstag der UEFA EURO 2020 der dänische Nationalspieler Christian Eriksen mitten im Spiel mit einem Herzstillstand zusammenbrach und noch vor Ort – Gott sei Dank! – erfolgreich wiederbelebt werden konnte, schaute die Welt geschockt zu. Gleichzeitig wurde schnell klar, dass selbst die UEFA, die jahrzehntelange Erfahrung mit der Planung und Ausrichtung von großen Sportevents hat, nicht zu 100% auf ein solches Ereignis vorbereitet war.
Auf der medizinischen Seite hat vieles sehr gut funktioniert. Der deutsche Notfallmediziner Dr. Jens Kleinfeld war in seiner Rolle als Doping Control Officer persönlich vor Ort und hatte zudem kurz vorher noch das Medical Sideline Team geschult. Als dann der Notfall eintrat, wusste nicht nur das Sideline Team was zu tun ist. Dr. Kleinfeld konnte die Wiederbelebungsmaßnahmen persönlich unterstützen.
Krisenmanagement: Konnte die Krise unter Kontrolle gebracht werden?
Ja, die medizinische Situation konnte aufgrund der präzisen Vorbereitung und Schulung des Teams kontrolliert werden. Die dafür vorgesehenen Protokolle wurden erfolgreich durchgeführt.
Nach der medizinischen Betrachtung solch einer Notsituation, die im ersten Moment im Fokus steht, werden weitere Aspekte sichtbar. In diesem Fall gibt es Faktoren, die schlecht vorbereitet bzw. nicht einwandfrei durchgeführt wurden und einen Optimierungsbedarf aufzeigen:
- Die Medien und damit die Augen aller Zuschauer waren auf den am Boden liegenden dänischen Nationalspieler gerichtet. Die eigenen Teamkollegen mussten eine Wand bilden, um seine Privatsphäre zu gewährleisten. Warum wurde im Vorfeld keine Abschirmung vorbereitet, die auch dem medizischen Team einen geschützten Raum gegeben hätte – wie beispielsweise bei der Formel1?
- Die übrigen Spieler und auch Schiedsrichter wussten nicht was zu tun ist: bleibt man auf dem Spielfeld, darf man sich in die Umkleiden zurückziehen oder soll man sich auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfeldes sammeln? Hier wäre ein Protokoll mit festgelegten Regeln eine Erleichterung für alle Anwesenden gewesen.
- Auch der Krisenstab wirkte unentschlossen und nicht geschult. Er weigerte sich die Kontrolle zu übernehmen und zu entscheiden, ob und wann das Spiel fortgesetzt werden soll. Eine Entscheidung, die nicht den überforderten und betroffenen Spielern überlassen werden kann.
- Die Taktung der einzelnen Spiele lässt offensichtlich keinen Spielraum für Unvorhergesehenes. Den Spielern wurde die Möglichkeit gegeben, das Spiel direkt oder am folgenden Tag um 12.00 Uhr fortzusetzen. Wieso fehlt hier die Flexibilität den Spielern die nötige Zeit für eine mentale Erholung zu geben?
- Auch die Kommunikationsstrategie und -inhalte verdeutlichen eine fehlende Vorbereitung auf solch eine Situation. Wenn Informationen für 19.45 Uhr angekündigt werden, sollten diese nicht erst um 20.00 Uhr weitergegeben werden. Mit einer klaren, möglichst verständlichen und korrekten Kommunikation können unnötige Unklarheiten vermieden werden.
Können wir aus dem Ereignis Konsequenzen ziehen?
Der Zusammenbruch von Christian Eriksen ist kein Einzelfall. In der Vergangenheit gab es bereits ähnliche Vorfälle, bei denen viele (junge) Sportler im Training oder bei Wettkämpfen verschiedenster Sportarten zusammengebrochen sind und wiederbelebt werden mussten.
Das zeigt, dass Organisationen, Verbände und Vereine es versäumt haben und weiterhin versäumen, aus früheren Vorfällen zu lernen und die Auswirkungen eines solchen Vorfalls zu verstehen.
Denn auch während der aktuelle Europameisterschaft gab es einen weiteren Vorfall, der sich während des Spiels Frankreich-Deutschland, nur drei Tage nach dem Zusammenbruch von Christian Eriksen, ereignet hat.
Während des Spiels lag der französische Nationalspieler Benjamin Pavard regungslos auf dem Spielfeld. In einem Interview nach der Partie bestätigte er, dass er nach dem Zusammenprall mit Robin Gosens in der zweiten Halbzeit „für 10 bis 15 Sekunden außer Gefecht gesetzt“ war.
In den UEFA-Protokollen für Gehirnerschütterungen von 2014 heißt es: „Im Falle einer vermuteten Gehirnerschütterung unterbricht der Schiedsrichter das Spiel für bis zu drei Minuten, damit der verletzte Spieler vom Mannschaftsarzt untersucht werden kann. Ein Spieler darf nur dann weiterspielen, wenn der Mannschaftsarzt dem Schiedsrichter bestätigt, dass der Spieler in der Lage ist, weiterzuspielen„. Genau das ist passiert, während die Welt zusah.
Übertragung der Verantwortung für allgemeine Regelungen?
Um die Sicherheit der Fußballspieler zu gewährleisten, müsste bei einem Verdacht auf eine Kopf- oder Wirbelsäulenverletzung den Mannschaften die Entscheidungsbefugnis entzogen werden.
In vielen Profisportarten wird ein Spieler sofort vom Spiel ausgeschlossen, wenn er ohnmächtig geworden ist. In der amerikanischen NFL beispielsweise achtet ein offizieller Beobachter auf verdächtige Situationen und nutzt dafür das TV-Material. Wird eine verdächtige Situation entdeckt, wird das Spiel sofort unterbrochen. Der Spieler muss sich einer Untersuchung durch Spezialisten unterziehen, bevor er zur Rückkehr auf das Spielfeld freigegeben oder zur weiteren Behandlung in ein Krankenhaus geschickt wird.
Solch eine Funktion könnte im Fußball der Video-Assistent (Video Assistant Referee – VAR) übernehmen, der während des Spiels sowieso auf den Bildschirm schaut und das Spiel beobachtet.
Gutes Krisenmanagement = Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen
Eine Krise erfordert entschlossene Führung, die häufig unabhängig von der normalen Hierarchie in einem Unternehmen oder einer Organisation ist. Was bei der Bewältigung einer Krise notwendig und effektiv ist, kann somit im Konflikt mit anderen Zielen stehen.
So ist es aus medizinischer Sicht im Interesse des verletzten Spielers aus dem Spiel genommen und gründlich untersucht zu werden. Fans, Mitspieler, Sponsoren, Trainer und sogar der Spieler selbst sehen dies in dem Moment vielleicht anders, da sie den Gewinn des Spiels im Fokus haben.
Sicherlich müssen Organisationskomitees und (inter)nationale Verbände hier die Führung übernehmen, aber es darf keine Entschuldigung mehr für Vereine, Stadien, Theater und andere Veranstaltungsorte geben, nicht auf das Unvermeidliche vorbereitet zu sein.
Unser Team bei WB Risk Prevention Systems ist bereit, Sie bei der Vorbereitung auf diese Szenarien zu unterstützen. Wenn Sie mehr erfahren möchten, kontaktieren Sie uns bitte.
Denn wenn uns die Vorfälle der UEFA EURO 2020 etwas lehren, dann das, dass Notsituationen und Katastrophen immer wieder eintreten werden. Wenn man sich nicht darauf vorbereitet, ist schon jetzt das Scheitern vorprogrammiert.